Stolpersteine 4: Unklare Ziele und Ressourcen
Veröffentlicht von Johannes F. Reichert in Projektmanagement · 4 November 2024
Tags: Change, Projektmanagement
Tags: Change, Projektmanagement
Machen wir uns nichts vor: Change ist teuer.
Stolpersteine im Change-Prozess
Und zwar teurer, als Sie denken.
Veränderungsprojekte greifen oft tief ein in gewohnte vernetzte Arbeitsprozesse,
erfordern neue Ordnungsprinzipien, einen Umbau des Organigramms und bringen oft massive Reibungsverluste mit sich.
All das kostet: Geld, Zeit, Aufmerksamkeit, Ressourcen.
Und zwar von allem mehr, als anfangs gedacht.
Das magische Dreieck: Qualität, Zeit und Kosten
Im Projektmanagement spricht man vom „magischen Dreieck“, in dem Qualität (= Ergebnis, Ziel), Zeit und Kosten (Ressourcen) im Spannungsverhältnis stehen. Eine definierte Qualität lässt sich nur mit einem bestimmten Aufwand (Ressourcen, Kosten) und innerhalb einer festgelegten Zeit erreichen. Möchte ich schneller sein, muss ich meinen Aufwand erhöhen oder die Qualitätsziele verringern.
Qualität und Zieldefinition
Viele Projekte weisen bereits zu Beginn einen entscheidenden Schwachpunkt auf:
Das Ziel, beziehungsweise die „Qualität des Ziels“, wird nicht klar definiert und bleibt somit offen für Interpretationen oder unterschiedliche Bewertungen.
Beispiele für vage Zielformulierungen versus klare Zielsetzungen:
- „Mehr Reichweite im Digitalen“
anstatt von z.B.
„jährlich 30% mehr „Teilen“ auf Instagram und TikTok in den nächsten 3 Jahren“ - „Neue Zielgruppen erreichen“
anstatt von z.B.
„jährlich 20% mehr Visits von Sicherheitsorientierten und Vereinfachenden nach der DMT-Matrix“ - „Agile Arbeitsweisen etablieren“
anstatt von z.B.
„alle Video-Reporter*innen liefern vor dem TV-Beitrag Videomaterial für Reels und Stories“
Mit unklaren Zielformulierungen bewegen wir uns in einer sonderbaren Grauzone der Projektarbeit:
Auf der einen Seite geben sie dem Projek eam Freiheiten und Spielraum für die Umsetzung, auf der anderen Seite erzeugen sie häug Enttäuschungen, wenn diese Freiheiten zu exzessiv genutzt werden.
Wenn so viele Change-Projekte „scheitern“, dann liegt es oft genau am Verfehlen angestrebter, aber wenig definierter Qualitäts-Ziele. Dann werden kleine erste Schri e zum Ziel bereits als „Erfolg“ verkauft.
Die Bedeutung der Zeit in Projekten
Die Dimension „Zeit“ spielt gerade bei komplexen Vorhaben eine entscheidende Rolle. Abhängigkeiten, Schwachstellen und Herausforderungen werden oft erst im Projektverlauf sichtbar, ihre Umsetzung muss stetig neu entwickelt werden.
Für Projektteams ist es demnach von Vorteil, wenn es keine harten Deadlines als Vorgabe hat. Auf der anderen Seite kann die geringe Wertschätzung dieser Dimension in weitgehend selbstreferenziellen Systemen (wie z.B. ö entlich-rechtlichen Sendern) dazu führen, dass Ziele / Qualitäten beeinträchtigt werden:
Für Projektteams ist es demnach von Vorteil, wenn es keine harten Deadlines als Vorgabe hat. Auf der anderen Seite kann die geringe Wertschätzung dieser Dimension in weitgehend selbstreferenziellen Systemen (wie z.B. ö entlich-rechtlichen Sendern) dazu führen, dass Ziele / Qualitäten beeinträchtigt werden:
Ein Beispiel aus der PraxisEin Sender hat sich zum Ziel gesetzt, leistungsfähige Präsenzen auf Instagram und Facebook für die Zielgruppe der 25- bis 40-jährigen zu entwickeln.Nach einem Jahr ist endlich ein redaktionelles Konzept entwickelt und mit den vielen Stakeholdern und Instanzen im Haus abgestimmt. Nun muss überlegt werden, wo das Projekt in der Struktur verankert wird, über welche Kostenstellen abgerechnet wird, wie viel Budget zur Verfügung steht, welche Mitarbeiter dafür zur Verfügung stehen, ...Die Umsetzung bis zum go live wird wohl ein weiteres Jahr in Anspruch nehmen.
Bis dahin aber könnte längst TikTok die relevantestes Plattform für diese Zielgruppe sein.
Manchmal auch verzögert sich die Dimension „Zeit“ ins Unendliche: Projekte laufen still und heimlich aus, ohne Abschlussbericht, ohne Bewertung, ohne Folgen:
„Passiert, dann machen wir halt was Neues …“
„Passiert, dann machen wir halt was Neues …“
Ressourcenrealität vs. Wunschdenken
Ressourcen sind häug die einzige „harte“ Währung im ‚magischen Dreieck“:
Manpower, Budget, Technik-Bedarf, externe Dienstleister, Fortbildungsbedarf usw.
Dabei wird die Entscheidung für Projektressourcen meist im sozialen Raum vieler unterschiedlicher Interessen getroffen. Deshalb neigen Initiatoren und Unterstützer solcher Projekte neigen gerne dazu, die Kosten „optimistisch“ zu kalkulieren – wohl wissend, dass ein so großes Projekt selten gestoppt wird, dass „Nachträge“ die Regel
sind.
Wirksam wird das immer erst im Projektverlauf, wenn sich Projektleiter ernsthaft mit Zielen und Zeitvorgaben befasst haben. Erst dann wird nicht nur sichtbar, wie unklar die Zielvorgaben sind, sondern auch, was es dazu braucht.
Die unterschätzten Personalressourcen
Nach meiner Erfahrung sind es vor allem die benötigten internen Personalressourcen,
deren Belastung zu spät erkannt wird:
- Projektleiter:
Ein komplexes Projekt muss naturgemäß intern gesteuert werden. Projektleiter brauchen ein vertieftes Verständnis der Organisation, ihrer Arbeitsweisen, ihrer Kultur.
Da sich nur wenige Auftraggeber dafür entscheiden, Mitarbeiter komplett für den Prozess freizustellen, führt dies häug zu einer massiven Doppelbelastung.
Besonders motivierte „Projekthelden“ landen dabei nicht selten im Burnout. - Digitale Expert*innen:
Strategisches digitales Expertenwissen wird in digitalen Veränderungsprozessen besonders intensiv benötigt. Doch gerade diese Kompetenzen sind in den meisten ARD-Sendern deutlich unterrepräsentiert. Die Folge ist, dass die wenigen digitalen Expert*innen zeitgleich in verschiedenen Prozessen benötigt werden, um ihre Perspektiven einzubringen. Wenn sie zudem noch operativ eingebunden bleiben, ist eine Überlastung vorprogrammiert. - Mitarbeiter*innen:
In der Idealvorstellung einer Führungskraft entwickelt ein Projektteam neue Arbeitsweisen, die anschließend von den ‚normalen“ Mitarbeitenden im Alltag umgesetzt werden.
Tatsächlich sind diese ‚Flächenaufwände“ deutlich größer:
Nicht nur müssen Mitarbeitende kontinuierlich informiert werden, es entstehen auch massive Aufwände durch ihre notwendige Beteiligung an Projekt- und Arbeitsgruppen, durch „Schulterblicke“, „Sounding Boards“, Testphasen oder Simulationen sowie durch Reibungsverluste in der Startphase der Umsetzung. - Qualifizierung:
Um neue Arbeitsweisen (z.B. eine crossmediale Neuorganisation) in einem so komplexen System wie einem Sender einzuführen, braucht es eine Vielzahl von Qualifizierungsmaßnahmen:
- Mindset-Arbeit („Warum das Ganze? Wohin?“)
- Neue Arbeitsweisen (z.B. „vom Thema her denken“, „in DMT- oder Sinus-Milieus denken“)
- Neue Software (MS Teams, Plan Rusw.)
- Neue Teams müssen arbeitsfähig werden (Teaming, interne Abläufe usw.)
- und vieles mehr …
Diese Aufwände werden nach meiner Erfahrung regelmäßig massiv unterschätzt.
„Weil irgendwer ja auch die tägliche Arbeit machen muss ...“
werden Qualifizierungsmaßnahmen oft nur in reduzierter Form angeboten / umgesetzt.
Im Ergebnis fühlen sich die Mitarbeitenden nicht ausreichend vorbereitet, sind unsicher, entwickeln massive Widerstände in der Umsetzungsphase.
Im Ergebnis fühlen sich die Mitarbeitenden nicht ausreichend vorbereitet, sind unsicher, entwickeln massive Widerstände in der Umsetzungsphase.
Strategien zur Entlastung
Was tun?
Bei begrenzten Personalressourcen ist es meiner Meinung nach unerlässlich, dass Entscheider vor allem für die Umsetzungsphase einen Plan entwickeln, wie die benötigten Freiräume und Personalressourcen geschaffen werden können.
Manche Sender schaffen das über zusätzliche Ausgaben für freie Mitarbeiter*innen, die ersatzweise Schichten für Festangestellte übernehmen.
Andere erhöhen ihre Kapazitäten, indem sie temporär oder dauerhaft (!) bestimmte
Programmanagebote reduzieren:
- Reichweiten-schwache Angebote werden wöhrend der Projektphase nicht produziert
(z.B. Abendprogramme im Radio) - Ähnliche Produkte werden verschmolzen
(z.B. Radio-Nachrichten für Info- und Kulturwellen) - Mehr Wiederholungen einzelner Programmangebote in Radio und TV
- Nicht-essenzielle Aufgaben mit hohem Produktionsaufwand werden pausiert
(z.B. Sommertour im TV) - usw.
Deshalb meine große Bitte:
Prüfen Sie im Interesse Ihrer Kolleginnen und Kollegen vor der Entscheidung,
ob Ihnen die benötigten Mittel für einen Veränderungsprozess tatsächlich zur Verfügung stehen.
ob Ihnen die benötigten Mittel für einen Veränderungsprozess tatsächlich zur Verfügung stehen.
Ohne diese Ressourcen werden Sie vor allem eines schaffen: Unruhe, Panik, Ärger,
Dauerkonflikte, Frust - und evtl. ein weiteres gescheitertes Projekt.
Danke!
Stolpersteine im Change-Prozess